📖 Gründung eines (gemeinnützigen) Vereins als FOSS-Projekt? Eine Übersicht von Tweasel for Web
Der Datenanfragen.de e. V. ist ein deutscher gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen bei der Ausübung ihres Rechts auf Datenschutz zu helfen. Wir hatten ihn 2018 gegründet, um eine rechtliche Struktur für den Betrieb der gleichnamigen Webseite zu schaffen, auf welcher Nutzer_innen Anfragen generieren können, um ihre Betroffenenrechte aus der Datenschutz-Grundverordnung zu nutzen und so Auskunft über die Daten, welche Unternehmen und andere Organisationen über sie verarbeiten, zu erhalten, falsche Daten berichtigen zu lassen, nicht mehr nötige Daten löschen zu lassen, oder dem Versand von Direktwerbung zu widersprechen.
Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns darüber hinaus viel mit Tracking und Überwachung durch mobile Apps und Webseiten. Dazu betreiben wir beispielsweise viel Forschung und entwickeln im Projekt Tweasel Infrastruktur, welche die Erkennung von Tracking sowie rechtliche Beschwerde dagegen automatisiert. In der 16. Runde des Prototype Funds werden unsere beiden Vorstandsvorsitzenden gefördert, um ein Tweasel-Addon für Web-Browser zu entwickeln.
Neben diesem technischen Teil machen wir aber auch viel „klassischere“ Vereinsarbeit wie Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit und Informationsmaterial oder Beteiligung an Konsultationsverfahren von Aufsichtsbehörden.
Über die Jahre haben wir einiges an Erfahrungen gemacht und gelernt, was an so einer Vereinsstruktur gut funktioniert und was nicht. Diese Erfahrungen wollen wir an dieser Stelle mit anderen FOSS-Projekten teilen, die auch über eine Vereinsgründung nachdenken. Dabei gehen wir nicht darauf ein, wie eine Vereinsgründung konkret abläuft, sondern verweisen hierfür auf den tollen Vortrag „Vereine gründen für das Fediverse“ von Claudius und w4tsn, der sich zwar spezifisch an Vereine für Fediverse-Instanzen richtet, aber zu großen Teilen übertragbar ist. Der Vortrag bietet auch ein gutes Grundwissen zu der Thematik, das wir im Folgenden voraussetzen.
Unser Weg zum Verein
Die Arbeit an Datenanfragen.de hatten wir, wie sicherlich bei vielen anderen Projekten auch, zunächst ohne irgendeine feste Organisationsstruktur als Privatpersonen gestartet. Als wir erkannt hatten, dass uns das Projekt wichtig ist und wir es längerfristig betreiben wollen, war uns schnell klar, dass wir eine rechtliche Struktur brauchen, welche offizielle Betreiberin des Projekts ist.
Hierfür gab es einige Gründe. Zunächst war uns wichtig, das Projekt möglichst unabhängig von den Initiator_innen zu machen und eine Übertragung der Leitungsrollen auf andere Personen in der Zukunft zu ermöglichen. Wir haben uns explizit auch gewünscht, dass sich die Community am Projekt beteiligen und demokratisch an Entscheidungen mitwirken kann. Darüber war uns aber auch vor allem eine Haftungsbeschränkung wichtig, damit wir und andere ehrenamtlich am Projekt arbeiten können, ohne Angst haben zu müssen, persönlich in die Haftung genommen zu werden. Und schließlich wollten wir dafür sorgen, dass das Projekt dauerhaft gemeinwohlorientiert betrieben wird und niemals Gewinn damit erzielt wird.
In Anbetracht dieser Beweggründe war ein eingetragener Verein tatsächlich die einzige Rechtsform, die für uns infrage kam. Praktischerweise sind beim (gemeinnützigen) Verein auch die Gründungskosten vergleichsweise niedrig. Aber insbesondere über die Gründung eines Unternehmens haben wir gar nicht nachgedacht, weil es uns wichtig war (und immer noch ist), kein Geld mit unseren Nutzer_innen zu verdienen.
Aus gleichen Gründen haben wir uns auch für eine Gemeinnützigkeit entschieden. Wir wollten uns bewusst den deutlich höheren Anforderungen und der strikteren Prüfung durch das Finanzamt unterwerfen, damit Menschen uns vertrauen können, dass wir wirklich ausschließlich gemeinwohlorientiert agieren.Anfangs hatten wir etwas naiv angenommen, dass ein Projekt zum Datenschutz, der ja schließlich ein Grundrecht ist, selbstverständlich gemeinnützig sein kann. Zum Glück gibt es die Möglichkeit, den Satzungsentwurf vom Finanzamt kostenlos prüfen zu lassen, wodurch wir gelernt haben, dass aus dem Vereinszweck sehr klar hervorgehen muss, welche der gemeinnützigen Zwecken aus der leider sehr starren und recht willkürlichen Liste aus § 52 Abs. 2 AO denn konkret gefördert werden und wie.
Welche Rechtsform im Endeffekt die richtige ist (oder ob überhaupt eine nötig ist), ist aber natürlich sehr abhängig vom jeweiligen Projekt und sollte individuell bedacht werden. Und gerade die Entscheidung für oder gegen eine Gemeinnützigkeit sollte gut überlegt sein. Soll die eigene Arbeit an der Software beispielsweise durch Consulting dazu finanziert werden, ist sicherlich eine wirtschaftliche Rechtsform sinnvoll. Auch eine gUG oder gGmbH kann attraktiv sein, wenn das Projekt zwar gemeinwohlorientiert geleitet, Entscheidungen aber nicht unbedingt demokratisch von den Mitgliedern gefasst werden sollen.
Vorteile
· Finanzielles (bei Gemeinnützigkeit)
· Spenden sammeln mit Steueranreiz
· Keine Steuern für Einnahmen
· Gemeinnützigkeit ist oft Voraussetzung für Fördermittel
· Haftungsbeschränkung
· Haftung liegt (meistens) beim Verein, Schutz für Ehrenamtliche
· Kollektive Organisation
· Möglichkeit der Formalisierung von Regeln
· Keine Einzelperson hat Macht über die Projektassets (je nach Satzung)
· Projekt ist von Einzelpersonen unabhängig(er) und lässt sich besser weitergeben
· Kontrollmöglichkeit der Leadership
· Ansehen
· Institution verleiht Seriösität
· Vertrauen in gemeinnützige Organisationen
Nachteile
· Verwaltungsaufwand und Kosten
· Eintragung kostet Geld.
· Relative starre Struktur, bspw. erfordern Satzungsänderungen ziemlichen Aufwand und Kosten. (Kann aber gleichzeitig auch Vorteil sein.)
· (insbesondere bei Gemeinnützigkeit) Admin-Overhead, z. B. für Mitgliederversammlungen und Jahresberichte
· Man braucht Vereinsverwaltungs- und Buchhaltungssoftware, aber wenig gute Optionen (mit FOSS und Datenschutz).
· Privatsphäreeinbußen
· Name, Adresse und Geburtsdatum von Vorstandsmitgliedern werden im Vereinsregister veröffentlicht
· Beschränkungen der Handlungsfähigkeit
· Enge und „intransparente“ Beschränkungen durch das Gemeinnützigkeitsrecht, insbesondere bei Aktivismus häufig unklar, was erlaubt ist, Risiko vorauseilenden Gehorsams
Zu bedenken
· Schwierige Frage: Verhältnis zwischen Leadership im Verein und Maintenance-Aufgaben „im Code“
· Einmal für Gemeinnützigkeit entschieden, kommt man nur noch sehr schwer und ggf. teuer wieder heraus.
Tipps
· Es gibt online etliche Vorlagen für Satzungen, Protokolle, etc.
· Guckt Euch möglichst viele an und kombiniert die Aspekte, die Euch gefallen. Gerade bei der Satzung lohnt es sich, sich anfangs mehr Gedanken zu machen als weniger.
· Bedient Euch gerne auch bei uns, unsere Satzung und alle Ordnungen sind - wie auch dieser Beitrag - CC0: https://www.datenanfragen.de/verein/transparenz
· Notar_innen beglaubigen auch nur Unterschriften, ihr braucht nicht deren Rundumpaket.
Ressourcen
- Vortrag, der die Schritte zur Vereinsgründung erklärt: https://media.ccc.de/v/2024-375-vereine-grnden-fr-das-fediverse
- Aktuelle rechtliche Themen
- Vereinfacher: https://www.youtube.com/@Vereinfacher
- socialnet-Newsletter: https://www.socialnet.de/newsletter/
- DSEE
- Beratung: https://www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de/kontakt/
- Webinare: https://www.youtube.com/@DS-Engagement-und-Ehrenamt
- Förderdatenbank: https://foerderdatenbank.d-s-e-e.de/
- Zum Verhältnis von Gemeinnützigkeit und politischer Betätigung
- Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/
- Leitfaden von der GFF: https://freiheitsrechte.org/gemeinnuetzigkeit-infomaterial
- Initiative Transparente Zivilgesellschaft: https://www.transparency.de/mitmachen/initiative-transparente-zivilgesellschaft/