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Design für die vielen – wie Human-Centered Design Nutzer*innen in den Fokus rückt

Eileen Wagner spricht im Interview über Human-Centered Design – und darüber, was das Designprinzip für Public Interest Tech bereithalten kann.

Dein Steckenpferd ist Human Centered Design – was ist das?

Human-Centered Design (HCD), manchmal auch unter “Design Thinking” bekannt, ist ein Sammelbegriff für Designmethoden, die sich durch eine empirische Herangehensweise auszeichnen. Nutzende werden als Expert*innen befragt und das Produkt wird auf Basis der Ergebnisse entwickelt. Sind die Bedürfnisse von Nutzenden erfüllt, ist das Design gut.

Dabei beinhaltet HCD einen ganzen Wertekanon – von Empathie und Optimismus bis dahin, aus Fehlern zu lernen, auszuprobieren statt zu diskutieren und sich auch in Ambivalenzen wohlzufühlen. Im HCD muss niemand Expert*in sein, um etwas gut zu machen. Ganz im Gegenteil: Unwissen und Neugier können sogar eine Stärke sein!

Was hat Human-Centered Design mit Public Interest Tech zu tun?

Wie auch der Begriff “Public Interest Tech” kommt HCD aus den USA. Ursprünglich ging es bei Public Interest Tech darum, zum Beispiel die Interaktion zwischen Bürger*innen und der Regierung zu vereinfachen und darum, amtliche Prozesse und Tools tatsächlich nutzbar zu machen. Das sind die gleichen Werte, die auch HCD vertritt.

Ein gutes Beispiel ist die Herangehensweise von Code for America, eine der ersten Public-Interest-Tech-Organisationen. Dort geht es nicht nur darum, dass Code und Daten stimmen, sondern ob sie verständlich und zugänglich präsentiert werden, denn nur so haben Nutzer*innen wirklich etwas davon.

In Deutschland ist HCD weniger verbreitet, denn hier gibt es eher traditionelle Software-Unternehmen, die Prozesse weniger iterativ angehen. Gerade bei Public Interest Tech und den vielen ehrenamtlichen Open-Source-Entwickler*innen herrscht eine ganz andere Kultur vor, sodass bisher wenig mit Prinzipien des HCD gearbeitet wird. Der Ruf von HCD ist eben etwas Silicon Valley – zurecht!

Technologie wird uns nicht retten. Aber vielleicht Design? Denn Design kann dabei helfen, das große Ganze zu sehen und auf diese Weise neue Lösungswege aufzeigen. Wie funktioniert das?

Man tappt leicht in die Falle des Techno-Solutionism – also das Denken, dass Technologie immer die Lösung für alles ist – und ich finde, Design kann diese Perspektive etwas eindämmen. Design fragt: Wem nützt das Tool? Wie soll es genau funktionieren? Was passiert davor? Und was passiert danach? Wie passt das Produkt ins Gesamtsystem?

Auf diese Weise erreicht man, dass ein Produkt nicht einfach auf den Markt gebracht wird, sondern dass es genau dort landet, wo es benötigt wird – bei Nutzer*innen, die schon darauf warten. Design ist also ein mächtiges Werkzeug. Aber wie heißt es so schön: „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“ Natürlich löst Design genauso wenig wie Technologie realpolitische oder soziale Probleme. Darauf müssen wir als Public Interest Technologists immer achten.

Kannst du Beispiele dafür nennen, wie Design innovative Lösungswege aufzeigt?

Ein super Beispiel kommt von Code for America. In Kalifornien gibt es ein Onlineportal für Lebensmittelmarken – “GetCalFresh”. Die Entwickler*innen haben sich in diesem Fall ganz genau angesehen, in welchem Kontext diese Marken benötigt werden. Also versuchen sie zu erfahren, wie die Lebenswirklichkeit der Menschen, die sie beziehen, aussieht und schauen dann, wie sie in diesen bestimmten Kontext hineinarbeiten können, damit das Portal am Ende für sie funktioniert.

Dafür haben sie verschiedene User Research Studien gemacht, zum Beispiel zum Dokumentenupload. Das Ergebnis sieht so aus, dass bei “GetCalFresh” nicht gleich bei der Anmeldung alle Dokumente hochgeladen werden müssen, die den Bedarf der Person nachweisen. Das macht die Anmeldung um einiges einfacher, denn viele Menschen haben einfach keinen Scanner zuhause. Sie können sich trotzdem anmelden und die Dokumente einfach nachreichen. Das klingt erst einmal nicht nach einem besonders ausgefeilten Feature, aber viele kleine Dinge können den Prozess maßgeblich beeinflussen und am Ende dafür sorgen, dass ein gutes und nützliches Ergebnis entsteht, das auf die bestehenden Bedürfnisse abgestimmt ist. Ich empfehle die ganze Reihe von Case Studies von diesem Team, sie sind lesenswert!

Public Interest Tech hinterfragt die Art und Weise, in der Software entwickelt wird und stellt eine Alternative dafür dar. Kann mit HCD eine neue, stärker an Gemeinwohl orientierte Wertorientierung in der Software-Entwicklung erreicht werden?

Der Designdiskurs des 20. Jahrhunderts ist sehr kontrovers. Insgesamt werden viele verschiedene Ansprüche an Design formuliert, zum Beispiel der, dass Design nicht nur menschenzentriert sondern auch umweltzentriert sein soll. Und einige Stimmen sagen sogar, Design brauche überhaupt keine Methodologie.

Aus meiner Sicht ist HCD nicht an sich gut oder schlecht, es ist ein Werkzeug, das auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden kann. Es berücksichtigt klare Werte, aber die konkreten Ergebnisse kommen immer aus den übergeordneten Zielen und der konkreten Herangehensweise.

Dark Patterns beispielsweise sind aus ethischer Sicht natürlich nicht gut, aus Designsicht erfüllen sie aber ihren Zweck. Und warum sind denn Google und Facebook so erfolgreich? Zum großen Teil wegen des UX Designs! Da kann man sich fragen: Wer ist daran Schuld? Sind es die Designer*innen, die im Sinne des Unternehmenszwecks designen, oder ist es der Unternehmenszweck? 

Deswegen denke ich, dass nicht die Methodologie von HCD überarbeitet sondern die Ziele neu definiert werden müssen. Denn mit den richtigen Zielen ist HCD ein mächtiges Werkzeug.

Die Geschichte von HCD ist spannend, aber nicht unproblematisch. Sie ist sehr US-amerikanisch, sehr corporate – und das gefällt nicht allen. Die Frage, die wir stellen müssen, lautet deshalb: Wie können wir Teile der Methodologie übernehmen, ohne die Werte des Silicon Valleys eins zu eins mit zu übernehmen?

Was sind neue Entwicklungen in HCD, die auch für Public Interest Tech interessant sein könnten?

Da geht es aktuell in verschiedene Richtungen. Ein interessanter Ansatz ist beispielsweise “Consequence Scanning”. Hierbei werden Folgen des Designs so früh wie möglich betrachtet und abgeschätzt. 

Bei der Betrachtung der Zielgruppen lautet eine neue Idee: “Personas non gratas”. Im Normalfall werden im Designprozess ja sogenannte Personas als idealtypische Zielgruppe entworfen. Bei der Persona non grata geht es hingegen um die Menschen, die nicht direkt als Zielgruppe geplant sind, das Produkt aber trotzdem nutzen werden.

Auch spannend ist die “Design Justice” Bewegung. Der Gedanke dahinter ist, dass Designer*innen nicht den Alleinanspruch auf gute Ideen haben. Aus diesem Grund sollten alle Betroffenen an einem Design arbeiten und Lösungen im Co-Design entwerfen. Das ist besonders wichtig, wenn es einen großen Unterschied in den Machtverhältnissen gibt. Aus der Entwicklungszusammenarbeit kennen wir genügend Beispiele, in denen Institutionen aus dem globalen Norden sich Lösungen für Menschen im globalen Süden überlegen, welche diesen dann einfach vorgesetzt werden, ohne dass ihre Bedürfnisse erfragt und einbezogen wurden. Oder aber die Bedürfnisse wurden erfragt, aber die Betroffenen haben trotzdem kein Entscheidungsrecht für Lösungen, die ihr Leben beeinflussen. Mit Co-Design wird versucht, das von Anfang an zu vermeiden.

Wie kann man es schaffen, einen Human Centered Ansatz flächendeckend in der Technologieentwicklung durchzusetzen? Wo sind die Hürden?

Ich denke, HCD wird sich in der IT früher oder später durchsetzen, denn es ist schlicht und einfach profitabel. Die Frage ist deshalb eher: Wie schaffen wir es, dass es flächendeckend auch in Public Interest Technologien und im öffentlichen Sektor Anwendung findet? 

Fördermittelgeber müssen verstehen, dass HCD nicht das Sahnehäubchen sondern grundlegend für gute Technologie ist. Deswegen sollte es sich in viel mehr Förderprogrammen wiederfinden. Und HCD benötigt dringend auch mehr Fürsprache: Viele Menschen reden enthusiastisch über Design und viele Menschen sprechen begeistert von Public Interest Tech. Das Problem ist, dass das in der Regel nicht dieselben Menschen sind. Public Interest Tech und HCD können und sollen voneinander lernen und gemeinsam wachsen. Dafür braucht es gemeinsame Arbeit und mehr persönliche Verbindungen.

Eine weitere Herausforderung sehe ich in Fragen der Kultur. Wir müssen uns fragen, was HCD im deutschen Kontext eigentlich ist. Das Konzept sollte definiert und übersetzt, nicht als reine Imitation der US-amerikanischen Version verstanden werden. Wenn wir das schaffen, kann HCD einen großen Beitrag zur Entwicklung von Public Interest Technologien in Deutschland spielen.

Eileen Wagner war von 2015 bis 2017 als Content-Managerin im Team des Prototype Fund. Aktuell arbeitet sie aus der Perspektive von Human-Centered Design daran, offene, sichere und menschenwürdige Technologien zu gestalten: Als UX Coach von Simply Secure, auch für die Projekte des Prototype Fund.