Skip to main content

📖 Interview mit Tobias Zwick (OpenStreetMap)

Tobias Zwick ist der Autor von StreetComplete, einer Android App, mit der man ohne weitere Kenntnisse direkt etwas zur OpenStreetMap (OSM) beitragen kann. Dank der Förderung durch den Prototype Fund (Runde 8) konnte er die Entwicklung 2020/2021 intensivieren. Mittlerweile wird die App von mehr als 22.000 Menschen genutzt, was sie nach Anzahl der Nutzer*innen zurzeit zum zweitbeliebtesten Editor für OpenStreetMap überhaupt macht. Auch erhält das Projekt schon von Beginn an (seit 2017) zahlreiche Beiträge von Mitwirkenden.

Was, denkst du, zieht Leute in die OSM Community? Und warst du vorher selbst in der OSM Community aktiv?

Was den Zugang zu freier Information angeht, ist OpenStreetMap sicherlich ähnlich wie Wikipedia. Allein der Gedanke, hoffentlich hilfreiche Informationen für andere Menschen frei zur Verfügung zu stellen, ist sicherlich für viele Motivation genug.

Mir macht es zudem Freude, die weißen Flecken auf der Karte zu füllen. Insbesondere wenn man vor Ort ist, fühlt man sich dabei regelrecht wie ein Entdecker. Gleichzeitig ist es motivierend, das Resultat meiner Arbeit hinterher direkt auf der Karte zu sehen - man hat etwas geschafft! Ich hatte darüber 2013 in meinem damaligen Reiseblog geschrieben.

Letztlich ist es auch ein netter und zumeist wenig fordernder Zeitvertreib, denn um zur OpenStreetMap beizutragen muss man kein*e Expert*in sein.

Wie bist du bei der Einbindung der Community vorgegangen? Reicht der Anschluss an OSM oder bist du selbst darüber hinaus aktiv geworden, um Menschen zu erreichen?

Vor-Ort Informationen beizutragen war schon immer recht aufwändig und benötigt technisches Verständnis zu OSM. Die App ändert das. Das heißt, der initiale Erfolg der App, überhaupt wesentlich genutzt zu werden, ist mir dadurch, dass ich zufällig den richtigen Riecher hatte, was dem Ökosystem fehlt, quasi in den Schoß gefallen.

Dieses Projekt ist insofern speziell, als dass es nicht für sich allein steht oder stehen will, sondern sich in eine größere Community integriert. Potenzielle Nutzer*innen gibt es also viele. Das schränkt jedoch ein, was man machen kann - und was nicht. Die App muss sich der bestehenden Community unterordnen, um akzeptiert zu werden und nicht auf den Prüfstand zu kommen. Das musste ich von Anfang an beachten.

Damit die App und die Beitragenden in der Community nicht als Fremdkörper aufgefasst werden, war es allein schon wichtig, die OpenStreetMap-Community von Anfang an einzubinden. Dazu gehört unter anderem eine Präsenz in verschiedenen Community-Channels, eine ausführliche Beschreibung der App im Wiki mit Unterseiten, damit auch für Leute, die die App nicht nutzen, nachvollziehbar bleibt, was mit dieser App getan wird.

Die Einbindung in die Entwicklung, die meiner Erfahrung nach am besten und als erstes funktioniert, ist Crowdsourcing der Übersetzung. Dank einem dezenten Hinweis auf der Projektseite und der verlinkten Wikiseite wurde die App bisher in 46 Sprachen übersetzt - zu 100 % von Beitragenden.

Letztlich hat die App aber auch neue Zielgruppen erreicht, die bisher noch wenig mit OpenStreetMap am Hut hatten: Leute, denen das Beitragen bisher zu technisch oder zu aufwändig erschien oder auch Leute, die sonst eventuell eher Pokemon Go oder Geocaching als Zeitvertreib betrieben hätten.

Diese neuen Gruppen zukünftig (mehr) in die OpenStreetMap-Community im Ganzen zu integrieren, würde sowohl die OpenStreetMap Community bereichern als auch die Akzeptanz für die App und ihren Anwendungsfall weiter steigern.

Hast du Tipps für Leute, die mit ihrem Projekt eine Community erreichen wollen?

Ja, habe ich. Aber ein Disclaimer: Was für mich funktioniert hat, funktioniert vielleicht nicht für Andere. Also, Ratschläge immer mit Vorsicht genießen!

Wie schon erwähnt ist StreetComplete etwas speziell, weil es sich in eine größere Community integriert. Dadurch wurden gleich zu Anfang viele Leute erreicht. Sich einer bestehenden Community anzuschließen oder daraus hervorzugehen ist möglicherweise auch für andere Projekte ein hilfreicher Ansatz.

Die erste und größte Hürde ist natürlich aber erst einmal, ein Produkt zu entwickeln, das auch wirklich genutzt wird. Eine Idee kann ein Hit oder ein Miss sein. Generell hat ein Projekt, das ein bestehendes erfolgreiches Produkt erweitert oder ergänzt, natürlich bessere Chancen, genutzt zu werden.

Daher - ganz im Sinne des Prototype Funds - ist es wichtig zuerst ein Minimum-Viable-Produkt (MVP) zu erstellen und dieses publik zu machen. Nur wenn das auf positives Feedback stößt, lohnt es sich, die Idee weiterzuverfolgen. Wichtig ist, dass der Umfang (Scope) des Produkts ganz klar auf das Minimum abgegrenzt ist und in sich geschlossen ist. Ein Produkt, das unfertig wirkt, will niemand benutzen.

Deswegen dokumentiere öffentlich, was Ziel des Projekts ist, was zum Scope gehört - und was nicht, sodass potenzielle Beitragende wissen, woran sie sind (Beispiel in StreetComplete). Was ist erwünscht und was nicht? Eine öffentliche Dokumentation hilft auch, selbst in den selbst gesetzten Schranken zu bleiben, also Feature-Creep und mehrere gleichzeitige Baustellen zu vermeiden. Meiner Erfahrung nach ist es am besten, wenn das Projekt immer in sich geschlossen und "fertig" wirkt. Baustellen wirken auf Dauer abschreckend für Nutzende und auch Mitwirkende.

Wenn es konkrete Dinge gibt, die Beitragende tun können um dem Projekt zu helfen, dann schreibe auch das auf. Die Energie von (potenziellen) Beitragenden muss gelenkt werden: Sie müssen wissen, was sie konkret tun können (als Beispiel CONTRIBUTING.md in StreetComplete). Sonst ist die Hürde viel zu hoch.

Wenn es in deinem Projekt einen öffentlichen Issue-Tracker (z. B. GitHub) gibt, könntest du auch Labels einführen, mit denen du bestimmte Tickets markieren kannst, z. B. "needs PR", "help wanted", "good first contribution" usw.

Das ist alles, was mir an konkreten Tipps einfällt. Es gibt noch einige weitere Richtlinien, an die ich mich halte, wie zum Beispiel leicht lesbaren aber modernen und gut dokumentierten Code zu schreiben, damit mögliche Beitragende einen einfacheren Einstieg haben. Aber ob das nun wirklich entscheidend ist, weiß ich auch nicht.

Die oben genannte Dokumentation auf der anderen Seite hat garantiert einen Unterschied gemacht (am Anfang des Projektes fehlte diese nämlich und das hat sich bemerkbar gemacht). Es ist eben wichtig, dass die Entscheidungen, die man als Leiter in einem öffentlichen Projekt fällt, transparent und nachvollziehbar bleiben. Man kann nicht allen alles recht machen, aber versuchen zu erreichen, dass sich niemand verprellt fühlt und alle, die etwas beitragen, ein gutes Gefühl dabei haben.

Ist die Einbindung in die Community ausreichend, um StreetComplete langfristig zu halten oder braucht es noch mehr Ressourcen?

Tja, das langfristige Warten von reinen FOSS-Projekten ohne Geschäftsmodell ist natürlich immer so eine Sache. Es hilft, bei der Entwicklung darauf zu achten, dass das Projekt möglichst wartungsfrei durch Automatisierung und Nutzung von stabilen Frameworks überleben kann. Wenn das Projekt genug genutzt wird, finden sich mit der Zeit ggf. auch Mitstreiter*innen, die dabei helfen, das Projekt aktuell zu halten.

Letzteres ist bei StreetComplete der Fall, allerdings nützt das eher der Erweiterung des Projektes um weitere Features als der Wartung an sich.

Außerdem sind sowohl OpenStreetMap als auch Android als Ökosystem sehr instabile Plattformen, sodass der Wartungsaufwand sehr hoch ausfällt. Instabil ist Android in dem Sinne, dass sich u. a. die empfohlenen Frameworks ändern, sie teilweise ganz und gar als veraltet markiert werden, weil sich das Verhalten von Android von Version zu Version ändert und weil die App den sich stetig ändernden (und immer strenger) ausgelegten Richtlinien des Play Stores entsprechen muss.

OpenStreetMap ist außerdem instabil in dem Sinne, dass der Konsens darüber, wie etwas richtig einzutragen ist, sich ständig wandelt und erweitert, weswegen die Logik entsprechend ständig angepasst oder zumindest in Diskussionen verteidigt werden muss.

Dennoch würde ich sagen, rein die Wartung der App ist dank der vielen Spenden die ich über Liberapay, Patreon und Github Sponsors bekomme, gesichert, selbst wenn ich keine Freizeit mehr in dieses Projekt stecken kann.